Die Zeitung als solche

In den vergangenen Jahren wurde immer wieder behauptet, Zeitungen würden schon sehr bald zugrunde gehen. Wegen des Internets. Frei verfügbare Informationen für jedermann und zumeist auch noch kostenlos. Tatsächlich ist in der bundesweiten Auflagenentwicklung feststellenbar, dass die Auflagen sinken. Allerdings nicht unbedingt bei allen Zeitungen.

Blickt man auf das Blatt DIE ZEIT, so zeigt sich doch, dass es sich hierbei sicherlich um das erfolgreichste Blatt Deutschlands handelt. Woran liegt das nur? Die Zeit hat sich, wie andere Zeitungen auch, mit einer wissenschaftlichen Methode der Blattforschung beschäftigt. Und zwar Carlo Imbodens readerscan. Mit Hilfe dieser Methodik kann festgestellt werden, welche Beiträge von den Lesern einer Zeitung tatsächlich gelesen werden und welche nicht. Darüber hinaus kann man Aussagen dahingehend treffen, welche Stilformen besonders gut funktionieren und wie Artikel aufgebaut sein müssen, damit die Leser sie als interessant wahrnehmen. Natürlich lässt sich geschickterweise auch etwas über eine gute Themenauswahl sagen.

DIE ZEIT hat sich die Ergebnisse dieser Forschung zueigen gemacht und das eigene Blatt konsequent nach den Erkenntnissen dieser Methodik umgebaut. Mit sichtbarem Erfolg. Die meisten anderen Zeitungen in Deutschland, ganz gleich ob Lokalzeitung oder überregionale Depesche, sind noch nicht so weit. Ihre Auflage sinkt auch weiterhin.

Neben dem Erkenntnisgewinn der readerscan-Forschung ist natürlich klar, dass eine Zeitung niemals wieder das aktuellste Medium sein kann. Eine Zeitung passiert immer erst einen Tag nach einem Geschehnis. Funk, TV und Internet sind hier natürlich deutlich schneller. Die Zeitung wird zu einem Hintergrundmedium, sucht nach tiefergehenden Informationen, um diese dann journalistisch korrekt abzubilden. Das ist nicht neu. Aber blickt man auf Artikel der ZEIT, so zeigt sich doch, dass diese Form der Berichterstattung bildhafter, fast schon visueller geworden ist und sich an die Erzählform des Fernsehens anlehnt. Und das kommt gut an. Man bekommt mehr Hintergründe, mehr Informationen, aber präsentiert in einer sehr ansprechenden Form. Weit jenseits des sonst so üblichen Verlautbarungsstils, der die meisten Zeitungen in den vergangen Jahrzehnten geprägt hat.

Lokalzeitungen haben darüber hinaus noch eine ganz andere, sehr spezielle Qualität. Sie verköpern mit ihren Berichten ein lokale Entität. Eine Öffentlichkeit, die sonst kaum stattfindet. Lokales Leben findet sich gut aufbereitet nur sehr wenig im Internet. Und obwohl sich die Gesellschaft immer weiter weg von der sozialen Gemeinschaft hin zu einem Konglumerat reinen Individualismus bewegt, interessieren sich doch noch viele Menschen für die Ereignissen ihrer Heimat.

Darüber hinaus muss eine Zeitung immer die Aufgabe übernehmen, wichtiges von unwichtigem zu trennen. Fast schon mag diese Aufgabe arrogant wirken. Was befähigt denn bitte eine Zeitung für viele Menschen eine solche Entscheidung zu treffen? Es sind die Journalisten. Beziehungsweise der Beruf des Redakteurs. Er hat gelernt, wie man entscheidet was für eine Vielzahl von Lesern interessant ist und was vielleicht auch nicht. Das ist eine sehr große Verantwortung und nicht zuletzt auch der Grund dafür, warum die Presse oft als die „vierte Gewalt“ bezeichnet wird. Meinungsmache, sagen manche auch mit einem verächtlichen Schnauben. Guter Journalismus trägt tatsächlich zur Meinungsbildung bei. Aber es gibt einen Unterschied zwischen Meinungsbildung und Meinungsmache.

Journalisten sind dazu angehalten ein Thema von möglichst vielen Seiten zu beleuchten. Sie sollen es interessant darstellen, aber eben auch objektiv. Sie müssen aber auch kritisch sein, wenn ein Thema als solches tatsächlich auch kritisch ist. Gerade weil Lokalzeitungen die lokale Öffentlichkeit vertreten, ist ein „Kuschelkurs“ im Lokaljournalismus unangebracht. Wenn ein Thema ein öffentlicher „Aufreger“ ist, dann muss darüber auch geschrieben werden. Auch hier gilt natürlich viele Seiten zu beleuchten.

Nun lebe ich in einem Umfeld, in welchen sich die Lokalzeitung gerade verändert. Weg von einem ungeschriebenen Vertrag das gegenseitigen „guten Auskommens“, hin zu einem publizisitischen Konzept, welches echten Journalismus als Markenzeichen haben möchte und sich dabei auch an den Ergebnissen der readerscan-Forschung bewegt.

Das führt zu heftiger Kritik. Allerdings meist nur von Seiten der so genannten „Leser mit speziellen Interessen“. Es die Funktionäre verschiedenster Vereinigungen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, die plötzlich erfahren müssen, dass eine Pressemitteilung nicht mehr eins zu eins – so wie früher – ins Blatt übernommen wird. Stattdessen entscheidet der Redakteur, ob das Thema wichtig oder weniger wichtig ist und beginnt plötzlich selbst zu recherchieren. Und auf einmal wird ein Thema nicht mehr nur einseitig dargestellt, sondern viele weitere Stimmen kommen zu Wort und mehr Informationen kommen ans Licht. Oder aber ein Thema kommt gar nicht mehr. Weil es eben für ein Massenmedium nicht ausreichent, sondern viel zu sehr die Interessen Einzelner fokussiert.

Nun wirft man also der Zeitung vor, sie würde ja Meinungsmache betreiben. Und man müsse doch der Mehrheitsmeinung mehr Platz einräumen, sonst entstünde ein falscher Eindruck. Interessant dabei finde ich, dass Menschen hier in Anspruch nehmen, sie wüssten, was die Mehrheitsmeinung denn sei. Und das während die Zeitung sich einfach darauf konzentriert, nicht eine Mehrheitsmeinung abzubilden, sondern viele Meinung zu einem Thema zu präsentieren. Damit soll dem Leser – nach dem richtigen Dasein des Journalismus – geholfen werden, sich selbst ein Bild von einer Sache zu machen.

Es zeigt sich in den letzten Wochen deutlich, dass sehr wenige Menschen, auch in höheren Positionen, tatsächlich wissen wie eine Zeitung funktioniert und wie sie mit der Zeitung arbeiten können. Während zuvor der Redakteur eher Angst vor dem Funktionär hatte, dem man es recht machen wollte, ändert sich dieses Rollenverständnis. Eine Zeitung kann und darf es niemandem recht machen. Sie lebt von der Glaubwürdigkeit ihrer Artikel. Und diese wiederum ist nur dann gewährleistet, wenn objektiv berichtet wird. Und das bedeutet auch, dass kritische Stimmen genauso Gehör finden müssen, wie Befürworter. Im Grunde genommen haben alle, Zeitung, Leser und Leser mit speziellen Interessen weit mehr davon, wenn die Zeitung so arbeitet, wie es ihr eigentlich aufgetragen ist. Blickt man mal auf die Blätter in meiner Heimat, hat man in der Vergangenheit vielen Themendarstellungen kaum Glauben geschenkt. Weil man wusste, wer dahinter steckt und die Klüngeleien zwischen Zeitung und Personen des mehr oder weniger öffentlichen Lebens kannte.

Nach und nach verändert sich das. Die Redakteure der Zeitungen werden mutiger und gehen tiefer in das Geschehen. Sie hinterfragen Dinge und versuchen herauszufinden, welche Meinungen zu einem Thema existieren. Pressemeldungen werden so genutzt, wie sie eigentlich in unserer modernen Zeit genutzt werden sollte: Als Informationsmedium für den Journalisten, nicht als abdruckbarer Artikel. Themen werden selektiert und so mancher einer schimpft, weil sein Thema nicht mehr so wie früher präsentiert wird. Vielleicht sogar gar nicht mehr.

Dabei will die Zeitung vor allem auch eines: Nämlich gute und interessante Geschichten erzählen. All jene, die mit der Zeitung arbeiten möchten, müssen verstehen, dass sie nicht länger ein reines Verlautbarungsmedium, wohl aber ein sehr starkes und gutes Instrument vernünftiger öffentlichkeitswirksamer Arbeit ist. Wenn man weiß, wie man mit ihr umzugehen hat. Und das bedeutet eben auch, den Journalisten gute Informationen zukommen lassen, in aller Kürze hervorzuheben, was denn überhaupt die Geschichte ist, um die es sich dreht. Und den Redakteur dann auch selbst arbeiten zu lassen und nicht den hartnäckigen Gedanken zu haben, nur was ich selber schreibe, ist auch richtig und deshalb muss die Zeitung das genauso drucken wie ich es schreibe. Gute PR-Arbeit muss Einzug halten. Ein vernünftiger Umgang miteinander. Vertrauen und Ehrlichkeit. Aber auch Respekt.

Zu guter Pressearbeit, als Teil vernünftiger PR, gehört auch, sich über kritische Themen Gedanken zu machen, diese nicht zu verzerren, gar lügenhaft darzustellen, sondern den Redakteur mit Informationen zu versorgen, die das Thema richtig darstellen. In der PR muss man nicht immer alles sagen. Aber das was man sagt, muss absolut Hand und Fuß haben. Leider stelle ich hier am Standort häufig fest, dass die meisten „Bedarfsträger“ keine Pressearbeit machen können. Entweder weil sie niemanden haben oder weil sie es selbst nie gelernt haben. Zugegeben: Die Zeitung hat diese Menschen ein wenig auch zu diesem „guten Auskommen“ erzogen. Jahrelang war alles ein Geben und Nehmen und niemand ist einander auf die Füße getreten. Und man hat halt einfach gedruckt, was man bekam. Aber das hat mit fairem Journalismus, den die Leserinnen und Leser zu Recht erwarten, nicht viel zu tun.

Letztlich, wenn die Blätter so weit sind, werden auch die Kritiker merken, dass sie sehr viel mehr von einer guten Zeitung haben, als von einem gesichtslosen Stück Papier ohne Kanten und Glaubwürdigkeit. Bis dahin haben sie außerdem genügend Zeit zu lernen, wie man gute Pressearbeit macht. Und das gehört schon auch irgendwie dazu. Man darf sich doch nicht immer nur aufregen. Man darf stattdessen doch auch mal fragen wie man mit einer Veränderung gut umgehen kann. Im Grunde ist es gar nicht so schwer. Aber es gehört eben auch dazu zu akzeptieren, dass nur der Redakteur entscheidet, was ins Blatt kommt und was nicht. Wenn man sich gut vorbereitet und wirklich mal darüber nachdenkt, ob die Geschichte, die man anbieten möchte für ein Massenmedium passt oder lediglich extrem eigennützig und zudem noch nur für einen kleinen Kreis von Menschen interessant ist, dann wächst auch die Chance, dass etwas im Blatt landet.

Pressearbeit ist als Service für den Journalisten zu verstehen. Nicht als Aufzwängen von Themen. Und die Zeitung erfüllt nicht nur einen Selbstzweck. PR-Menschen machen sich im Zweifel viel Mühe, um ein Thema aufzubereiten, aber trotzdem können sie bei einer guten Zeitung nicht vollständig beeinflussen, ob etwas ins Blatt kommt oder nicht. Die Mühe aber sollte man sich trotzdem machen, denn die Zeitung ist und bleibt zunächst auch ein wichtiger Kanal.

In Sachen Lokalzeitung freut mich die viele Kritik ehrlich gesagt. Denn mir zeigt das auch, dass sich viele Menschen mit der Zeitung beschäftigen. Was mich weniger freut ist, dass sich zumeist nur die Funktionäre entsprechend bemühen den Zeigefinger zu heben. Sie sind oft nicht bereit mit der Zeitung mitzugehen. Stattdessen versuchen sie der Zeitung zu erzählen wie sie zu sein hat. Ohne freilich jemals journalistisch gearbeitet zu haben. Das finde ich schade.

Die Leser der Zeitung aber scheinen mit den angefangenen Veränderungen soweit zufrieden zu sein. Wir beginnen diese Veränderungen nun auch zu erklären. Immerhin arbeiten wir an eine Stück Alltag und auch an einem Stück Heimat. Da darf man ruhig mal erzählen, was „in der Werkstatt“ so passiert.

Ich jedenfalls bin der festen Überzeugen, dass gute und vor allem gut recherchierte und präsentierte Artikel in einer Lokalzeitung lesen. Die Zeitung wird „magaziniger“. Und das darf sie auch. Vielleicht muss sie das sogar.

Bei der ZEIT jedenfalls und auch bei der norwegischen Erfolgszeitung „Tidende“ klappts.

http://de.wikipedia.org/wiki/Bergens_Tidende

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